Tierarzt-Report: Ein Beagle, sechs unterschiedliche Diagnosen
2011-04-13 12:29 (Kommentare: 0)
David ist ein lieber Hund, und deshalb hält er auch ganz still, als die Tierärztin seinen Herzschlag überprüft. Sie horcht links am Brustkorb, dann rechts. Sieben Jahre ist David jetzt alt und damit im besten Rüden-Alter. Krank war er noch nie.
Doch heute hat der Hund von BILD-am-SONNTAG-Reporterin Karolin Schneider (27) einen Termin in der Tierklinik der Freien Universität Berlin. Tierärztin Anna Dettling setzt an zum Komplett-Check: Fiebermessen, Augen- und Zahnkontrolle, Untersuchung von Schleimhäuten und Prostata. Nach knapp zwanzig Minuten ist es amtlich – David ist ein kerngesunder Hund. Das bekommen wir sogar schriftlich. „Nur in seinen Ohren hat sich etwas Dreck angesammelt. Aber das ist bei einem Hund in dem Alter nichts Ungewöhnliches“, so die Diagnose der Ärztin.
Also, alles bestens. So soll es sein, denn David steht Großes bevor: Mit ihm werden wir nun in fünf Tierarztpraxen in Berlin und Brandenburg herausfinden, wie sorgsam die Veterinäre den gesunden Hund untersuchen und welche Diagnose sie stellen. Mit dem Satz „Der juckt sich immer so am Ohr. Können Sie mal schauen, ob mit Davids Ohren alles in Ordnung ist?“ werden wir den gesunden Hund vorstellen und beobachten, wie präzise die Untersuchung ausfällt. Und vor allem: Was so ein Besuch kostet.
Warum das alles? Die Deutschen lieben ihre Haustiere und lassen es sich einiges kosten, damit es Hund, Katze und auch Maus gut geht. Allein im vergangenen Jahr gaben sie für Futter und Zubehör 3,7 Milliarden Euro aus. Hinzu kommen die Tierarztkosten, und die sind in vielen Fällen für den Halter kaum noch nachzuvollziehen.
Doch im Gegensatz zum Menschen wird die Behandlung von Haustieren nicht über eine Krankenkasse abgerechnet, sondern nur bar. Grundlage ist die Gebührenordnung für Tierärzte, aber: Jede Leistung kann mit dem Ein- bis Dreifachen des jeweiligen Gebührensatzes berechnet werden. Das bedeutet: Eine Kastration kann zwischen 51,54 und 154,62 Euro kosten. Welcher Satz gewählt wird, hängt vom „Ermessensspielraum“ des Tierarztes ab. Eine Rechnung muss er auch nicht schreiben.
„In vielen Praxen werden gesunde Tiere zu kranken gemacht“, schreibt Tierärztin Dr. Jutta Ziegler (55) in ihrem neuen Buch „Schwarzbuch Tierarzt“ und sagt: „Nahezu alle Vierbeiner werden mit sinnlosen Impfungen, chemischen Medikamentenkeulen und Diätfuttermitteln traktiert und regelrecht krank therapiert. Die Leute denken, sie tun das Beste für ihre Tiere. Dabei tun sie das Schlimmste.“
Genau das wollen wir überprüfen. Noch vorweg: Beagle David hat keine Krankenversicherungen. Die werden für Hunde und Katzen zwar angeboten, fallen bei Stiftung Warentest aber regelmäßig durch. Bestimmte Behandlungen werden gar nicht erst übernommen (z. B. Impfung und Kastration) und viele Rassen werden sofort abgelehnt. Los geht’s:
• Praxis 1
Sie
liegt in einer noblen Stadtvilla im Berliner Stadtteil Grunewald. Mit
einem Otoskop guckt der Arzt in Davids linkes Ohr und stellt fest, dass
es „gerötet“ ist. Auf die Bitte, ob er vielleicht noch ins rechte Ohr
schauen könnte, meint der Arzt: „Ins rechte Ohr gucke ich nicht, das
sieht bestimmt noch schlimmer aus.“ Er verschreibt Ohrentropfen, ohne
die Anwendung zu erklären. Auf die Frage, was denn die Behandlung
kostet, sagt der Arzt: „Dann machen wir mal 23 Euro.“ Eine Rechnung gibt
es nicht. Nach vier Minuten sind wir mit einem Medikament in der Hand
draußen. Die Ohrentropfen, so ist in der Packungsbeilage zu lesen,
dürfen nur bei Pilzinfektionen angewendet werden. Und die hat David
eindeutig nicht.
• Praxis 2
Eine Empfehlung
des Beagle Clubs Berlin-Brandenburg. Zwei Arzthelferinnen halten David
fest, während die Tierärztin in beide Ohren schaut. Ihre Diagnose: „In
Davids Ohren hat sich etwas Schmutz abgesetzt, was man aber nicht
medikamentös behandeln muss.“ Mit einem Wattebausch und etwas Babyöl
reinigt die Ärztin Davids linke Ohrmuschel, erklärt dabei ihre
Arbeitsschritte. Davids rechtes Ohr lassen wir für unseren Test weiter
ungeputzt. Fazit: die richtige Diagnose, keine unnötigen Medikamente und
keine Abzocke. Auf der Rechnung stehen am Ende 11,58.
• Praxis 3
Der
Tierarzt hat Probleme in Davids Ohren zu schauen, weil der Beagle auf
dem Behandlungstisch zappelt. Genervt bricht der Veterinär die
Untersuchung nach einer Minute ab und meint: „Wir müssen Ihren Hund in
Vollnarkose versetzen, um die Ohren zu untersuchen. Bitte machen Sie
einen neuen Termin.“ Keine Behandlung, keine Diagnose – bezahlt werden
muss trotzdem: 16,10 Euro.
• Praxis 4
Mit
einer Mini-Kamera bohrt sich die Tierärztin in Davids Ohren. Vor allem
im linken Ohr (das in der zweiten Praxis gereinigt wurde!) sieht die
Ärztin eine akute Ohrenentzündung, „die sofort mit Antibiotikum“
behandelt werden müsste. Sie verschreibt Tropfen, die wir ins Ohr geben
sollen. Das unnötige Medikament und die falsche Behandlung kosten uns
33,50 Euro.
• Praxis 5
Die Tierärztin ist
spezialisiert auf Homöopathie und Naturheilverfahren. Hier werden Davids
Ohren nicht untersucht, sondern massiert. „Ich muss erst seine
Anspannung lösen“, erklärt die Naturheilkundlerin, während sie David mit
Leckerlis beruhigt. Zwei Minuten später kommt die (ganz weltliche)
Rechnung für das Ohren-Geknete: 18,25 Euro.
Unser Test zeigt: Obwohl Beagle David nur etwas Schmutz im Ohr hat, werden ihm in zwei Praxen unnötige Medikamente verschrieben, ein Arzt droht sogar mit Vollnarkose. Nur einer von fünf Ärzten erkennt, dass das Ohr nur mit etwas Watte und Babyöl gereinigt werden kann. Zurück bleiben ein verunsicherter Tierbesitzer und ein „kranker“ Hund, der eigentlich gar nicht krank ist.
BILD am SONNTAG konfrontiert Dr. Astrid Behr vom Bundesverband praktizierender Tierärzte mit dem Testergebnis: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Tierarzt ein Antibiotikum abgibt, wenn er nicht sicher ist, dass eine Infektion vorliegt. Auch die Vollnarkose ist in diesem Zusammenhang abwegig. Ich weiß nicht, warum dieser Fall so unterschiedlich gewertet wurde.“
Aber wie kann ein Tierbesitzer einen Veterinär finden, dem er vertrauen kann? Dr. Martin Schneidereit, Geschäftsführer vom Bundesverband für Tiergesundheit, rät: „Rufen Sie vorher in der Praxis an und fragen Sie, welche Kosten auf Sie zukommen. Je besser man informiert ist, desto genauer können Sie hinterfragen. Kaufen Sie sich ein Fachbuch über Ihr Tier. Und wenn es eine spezifische Erkrankung hat, sind Sie in Tierkliniken oftmals am besten aufgehoben.“
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